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Texting in Time: Kommunikative Praktiken der Smartphone-Interaktion im Prozess

In welchen alltäglichen Rhythmen versenden und empfangen wir Nachrichten via Smartphone-Apps? Auf welche dieser Nachrichten wird sofort geantwortet und welche werden ausschliesslich gelesen? Unterscheidet sich der Überarbeitungsaufwand und damit die Zeit, die wir in eine WhatsApp-Nachricht investieren, je nachdem, an wen der Text adressiert ist? Wie oft sind wir gleichzeitig in mehrere Chatinteraktionen involviert und wechseln in schneller Abfolge zwischen Apps und Chatfenstern hin und her? Und wie bildet sich die Mehrsprachigkeit und Stilvielfalt von Personen auf diese verschachtelten Kommunikationskontexte ab?

Das Projekt «Texting in Time», das vom Schweizerischen Nationalfonds von 2023 bis 2027 gefördert wird, geht diesen und weiteren Fragen an der Universität Bern am Institut für Germanistik nach. Ziel ist es, ein differenziertes Bild der Prozesse und zeitlichen Strukturierung von Sprachgebrauch mittels Smartphones zu zeichnen. Dabei ist die Beobachtung leitend, dass sich digital vernetzter Sprachgebrauch durch internetfähige Smartphones nicht nur mobilisiert hat (wir können räumlich ungebunden in digitale Interaktionen eintreten), sondern zudem auch zeitlich flexibilisiert hat (zumindest potenziell können wir rund um die Uhr in digitale Interaktionen eintreten). Digitaler Sprachgebrauch durchdringt das alltägliche Leben von Menschen in dieser Weise dichter als je zuvor und prägt soziale Gefüge massgeblich.

Das Projekt rekonstruiert diese Dynamiken buchstäblich aus der Sicht von Smartphone-Nutzer:innen, indem Proband:innen ihre Handybildschirme jeweils über einen Zeitraum von 14 Tagen als Screen Captures im Videoformat aufzeichnen. Das Projektteam kann so in Echtzeit nachvollziehen, welchen kommunikativen Tätigkeiten die Proband:innen an ihren mobilen Geräten nachgehen, wie Smartphone-Kommunikation in Tagesabläufe einfädelt, und wie Nutzer:innen dabei teils sehr unterschiedliche sprachliche Ressourcen – verschiedene Sprachen, Varietäten und Stile – in rhythmischen Mustern realisieren. Zudem bieten Bildschirmvideos einen analytischen Zugang zu der Hinterbühne digitaler Kommunikation, indem wir verfolgen können, wie Proband:innen an ihren Textnachrichten arbeiten, sie reformulieren und korrigieren und immer wieder auch (noch vor dem Abschicken) gänzlich verwerfen. Das Projekt erarbeitet auf dieser empirischen Grundlage eine Bestandsaufnahme der sprachlichen Praktiken, mit denen unterschiedliche Teile der Gesellschaft (ältere und jüngere Proband:innen, vom Land und aus der Stadt,…), ihren kommunikativen Alltag organisieren.

Unter Leitung von Prof. Dr. Florian Busch und unter Mitarbeit der Doktorierenden Jasmin Lallo und Julie Täge sowie einem Team von studentischen Hilfsassistierenden entstehen so drei zentrale Forschungsarbeiten

  • Erstens zeigt das Projekt auf, wie individuelle sprachliche Vielfalt im alltäglichen Smartphone-Gebrauch von Menschen zeitlich strukturiert wird. Smartphone-Kommunikation wird hier als zentraler medialer Kontext perspektiviert, in dem sich mehrsprachige Repertoires materialisieren, von Menschen reflektiert und als sozial bedeutsam wahrgenommen werden.
  • Zweitens untersucht das Projekt, was es unter den zeitlich und räumlich flexibilisierten Bedingungen der Smartphone-Kommunikation heisst, Texte zu schreiben. Im Fokus stehen vor allem die Überarbeitungspraktiken, die Individuen nutzen, um ihre Textnachrichten in Messenger-Apps so zu komponieren, dass sie für spezifische Adressat:innen und kommunikative Aktivitäten bzw. Kommunikationskontexte stilistisch passfähig sind.
  • Drittens erarbeitet das Projekt zudem eine Online-Datenbank, die die erhobenen Bildschirmaufzeichnungen nach Projektende in anonymisierter Form der Forschungsgemeinschaft zugänglich macht und damit eine einzigartige Datenquelle zur Erforschung digitalen Sprachgebrauchs der Nachnutzung öffnet.

Oktober 2024

Mehr Informationen, auch über Publikationen und Vorträge aus dem Projekt, finden sich unter http://www.germanistik.unibe.ch/textingintime